NEVEREST Podcast Ernst Geiger dldl

Ernst Geiger: "Im Leben kann man sich nie ganz sicher sein"

Über Ernst Geiger

— Triggerwarnung–

In dieser Episode geht es um sexuelle und sexualisierte Gewalt und Kriminaldelikte. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist!

Ernst Geiger war Leiter der kriminalpolizeilichen Abteilung und Angehöriger des Höheren Dienstes der Bundespolizeidirektion Wien. Er erlangte Bekanntheit als Leiter der Sonderkommission im Fall Jack Unterweger. Hier war er für die Leitung der Ermittlungen, die operative Leitung, die Aktenführung und die Verbindung zur Staatsanwaltschaft und zum Gericht zuständig.

Außerdem fasste Geiger im Jahr 2006 als Chefermittler den Saliera Dieb. Auch im Kriminalfall Julia Kührer trat Geiger medial wieder in Erscheinung.

Er verarbeitete seine Erinnerungen an Ermittlungen in mehreren Büchern. Eines davon ist das Buch „Es gibt durchaus noch schöne Morde: Die spannendsten und skurrilsten Kriminalfälle der letzten 25 Jahre“, in dem er unter anderem auch den Fall Jack Unterweger behandelt. Das Buch findest du hier.

Sein aktuelles Buch, das im Herbst 2021 veröffentlicht wurde, ist der Kriminalroman „Heimweg“, in dem die Favoritner Mädchenmorde von ihm verarbeitet wurden. Hier geht’s zum aktuellen Buch.

NEVEREST Podcast Ernst Geiger Kriminalpolizei

Transkript der Episode

Transkript der Episode

–TRIGGERWARNUNG–

00:00:04
Intro: Die Lektion deines Lebens der Neverest Podcast heute mit Michaela Stierschneider.

00:00:13
Michaela Stierschneider: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts die Lektion deines Lebens. Ich habe heute einen ganz besonderen Gast. Ich weiß nicht, wie es unseren Hörerinnen und Hörern geht. Spätestens seit der Zeit wo ich die Knickerbocker Bande gelesen habe, wollte ich Detektivin werden, wollte zur Kriminalpolizei. Und jetzt sitzt ein Mann vor mir, der der Chef der Kriminalpolizei war. Ernst Geiger Herzlich willkommen!

00:00:39
Ernst Geiger: Danke für die Einladung,

00:00:41
Michaela Stierschneider: Herr Geiger, Sie waren lange Zeit Chef der Kriminalpolizei. Sie haben sich um die größten Kriminalfälle Österreichs gekümmert. Stichwort Frauenmorde von Favoriten, Natascha Kampusch, der Salierer Diebstahl, Jack Unterweger. Wie fühlt sich das an, für dermaßen viele Aufklärungen von so großen Kriminalfällen mitverantwortlich oder verantwortlich zu sein?

00:01:08
Ernst Geiger: Ich war nicht nur der Chef, ich war auch lange Zeit im Ermittler Referent und habe ganz klein angefangen, beim Diebstahl, beim Einbruch. Mein Ziel war, zum Mord zu kommen. Mord Ermittler, das war schon in jungen Jahren, da habe ich Kriminalromane gelesen und das war eigentlich ein erstrebenswertes Ziel. Und da kommt man natürlich nicht gleich hin. Aber man lernt zuerst eben vor allem beim Einbruch. Da lernt man die Berufsverbrecher kennen, lernt mit ihnen umzugehen. Das ist eine sehr, sehr gute Schule. Und letztendlich bin ich dann eben im Mord Referat gelandet und wurde dann Leiter der Wiener Mordkommission.

00:01:59
Michaela Stierschneider: Und haben da Wahnsinnige Fälle gelöst. Ist man da stolz?

00:02:04
Ernst Geiger: Ich war in der Zeit, da gab es sehr viele große Mordfälle. Heute ist es gar nicht mehr so. Wenn man die heutige Gewaltkriminalität anschaut, die zahlenmäßig weniger geworden sind. Ins Auge stechen nur die Morde an Frauen. Das sind aber Beziehungsmoder. Der Täter ist der Partner, der Ex-Freund. Die geschehen meist ohne große Planung aus großen Emotionen heraus und sind menschlich sehr tragisch. Kriminalistisch sind sie zwar weniger interessant, weil der Täter von Anfang an meist schon bekannt ist und so wirklich herausragende große Fälle gibt es nur noch eher selten. In den 80er und 90er Jahren war das nicht so, da waren viele herausragende Fälle wie die Favouritener Mädchenmorder, die die Öffentlichkeit ganz besonders erregt haben. Wenn eine junge Frau, wenn ein Kind umgebracht wird, dann ist es etwas Fürchterliches, vor allem wenn der Täter unbekannt ist. Und man glaubt dann, wenn man dort wohnt oder auch in der Stadt wohnt oder in Österreich wohnt, das könnte ihn auch treffen. Man könnte der nächste sein. Und bei den Fällen, weil es eben so, dass wir damals kaum noch über kriminalistische, forensische Mittel verfügten. Alles war in Knochenarbeit, Ermittlungsarbeit. Das Geständnis war die Krönung. Aber es gab keine DNA und es gab keine Datenauswertung, keine Kommunikationstechnologie. Da war es viel schwieriger, Täter zu fassen.

00:03:53
Michaela Stierschneider: War, wie Sie sagen auf jeden Fall mehr Arbeit oder andere Arbeit als heute.

00:03:58
Ernst Geiger: Es war mehr Arbeit und auch andere Arbeit. Also mehr mit den Menschen reden, mehr

00:04:11
Michaela Stierschneider: …Gespür für Menschen haben.

00:04:12
Ernst Geiger: Genau. Heute geht es… sind die wirklich guten Ermittler, die Technokraten, die sich auskennen, die die digitalen Spuren verfolgen, die DNA auswerten. Früher in der Anfangsphase brauchte man dann noch sehr große Mengen Haare mit Wurzeln. Genügend ans kleine Mikro spuren. Und die halten sich oft über Jahre und können noch ausgewertet werden. Davon konnten wir damals nur träumen.

00:04:48
Michaela Stierschneider: Wahnsinnige mentale Aufgabe sicher auch. Wenn ich daran denke an Wegzeit-Diagramme und so Geschichten, also da muss man ja wirklich auf Zack gewesen sein.

00:04:58
Ernst Geiger: Es gab damals die Hilfsmittel, waren relativ einfach. Wir haben damals unsere Verbindungen von einzelnen Spuren und Tätern gezeichnet, auf Backpapier an die Wände und Kästen geklebt. Heute haben Analyse Tools, mit Computer geht natürlich alles viel einfacher,

00:05:22
Michaela Stierschneider: Sie weichen meiner Frage ein bisschen aus. Sind Sie stolz auf das, was Sie geleistet haben, was Sie geschafft haben? Erfüllt Sie das mit Stolz?

00:05:30
Ernst Geiger: Ja, das war natürlich nicht meine alleinige Leistung, es war Teamarbeit und die Kriminalbeamten damals zeichneten sich durch eine sehr hohe Einsatzbereitschaft aus. Also die waren oft Tag und Nacht im Einsatz in der heißen Phase und es wurde eigentlich erstaunliches, ist mit wenigen technischen Hilfsmitteln zustande gebracht. Also die ganz großen Fälle, wie zum Beispiel Unterweger. Das war dann der erste DNA Fall in der Endphase. Aber zunächst begannen wir auch ohne große Hilfsmittel und die DNA kam uns dann in der Endphase zu Hilfe. Und es war dann der erste DNA-Fall von Österreich und schlussendlich war das der Fall mit elf Frauen wurden in mehreren Bundesländern in Wien, in Niederösterreich, in der Steiermark, in Graz, in Vorarlberg, in der Tschechei und schlussendlich in Los Angeles. Und wir haben das dann lösen können.

00:06:33
Michaela Stierschneider: Sie sagen selbst, dass man damals noch persönlich viel mehr in diesen Fällen gesteckt hat, wenn ich das richtig verstanden habe, wenn man nicht einfach den Computer eingetippt hat, was man weiß, sondern das im Kopf durchdenken müssen. Was hat das mit Ihnen gemacht, sich Tag für Tag und so wie Sie beschreiben, Tag und Nacht sich mit solchen Fällen zu beschäftigen, mit so viel dunkler Energie oder oder böser Energie, wenn man das so sagen kann.

00:06:59
Ernst Geiger: Man war schon sehr gefangen und konnte das natürlich auch nicht so leicht ablegen. Es gab damals auch noch keine Supervision, also keine Psychologen, die einem zur Seite standen. Das wurde in der Gruppe abgearbeitet. Man hat sich nachher zusammengesetzt, hat einen Doppler Wein aufgemacht und gegessen. Es war eine sehr ungesunde Ernährungsweise. Die meisten haben damals auch noch geraucht. Das war in den 80er und 90er Jahren noch die übliche Lebensweise. Erst später ist man dann sportlicher, bewusster geworden. Und das hat natürlich einen beschäftigt und man konnte das auch zu Hause nicht ohne weiteres ablegen. Wenn man so in der heißen Phase war, dann war man eher für die Familie, für die Umgebung ungenießbar, weil man das nicht sofort abschalten konnte. Aber trotzdem haben die Mechanismen irgendwie gewirkt. Man hat sich dann gegenseitig ausgetauscht. Und wichtig war natürlich auch, außerhalb der Polizei noch ein Freundeskreis zu haben, nicht nur immer mit Polizisten zu verkehren, sondern auch private Freunde zu haben, gutes Familienleben war wichtig. Und später dann auch der Sport hat sehr viel geholfen. Also wenn man dann laufen geht, wenn man sich auspowert, da kann man seine Gedanken sammeln. Das ist natürlich auch wirklich wichtig um abzuschalten und wieder auf normale Laufgeschwindigkeit zu kommen.

00:08:36
Michaela Stierschneider: Ich habe 10 Jahre lang Nachrichten gemacht. Ich hab zehn Jahre lang als Nachrichtenredakteur gearbeitet und habe da festgestellt, mich Tag für Tag mit kleinen und großen dunklen Geschichten, mit kriminalistischen Geschichten zu beschäftigen. Das hat was mit mir gemacht. Sie haben das viel länger gemacht und viel intensiver. Wie sehr hat sie das geprägt, was hat das mit ihnen gemacht?

00:09:00
Ernst Geiger: Das prägt sicher und auch die Sicht auf die Dinge, wenn man immer mit dem zu tun hat.

00:09:08
Michaela Stierschneider: Mir ist es dann oft so gegangen, dass ich in der U-Bahn jeden zweiten verdächtigt habe.

00:09:15
Ernst Geiger: Nein so weit ist es nicht gegangen. Im Gegenteil, man wird vielleicht sogar ein bisschen weniger ängstlich, wenn man sieht, wenn man sieht, dass das doch die Ausnahme ist. Wenn man das nur als Medienkonsument wahrnimmt, sieht man das vielleicht noch verstärkt. So merkt man doch, dass das einzelne Täter sind, die meisten nichts herauskommen und fürchterliche Dinge fügen. Aber man ist auch mit dem Täter konfrontiert und merkt dann auch wieder, dass sind Menschen, oft Menschen in Ausnahmesituationen. Und auch wenn man das nicht billigt, was sie getan haben, versteht man manchmal doch ihre Handlungsweise. In manchen Fällen allerdings verschließen sich die Tätersichten. Da kann man das nicht nachvollziehen. Besonders bei Morden an kleinen Kindern, bei grauenhaften Sexualmodern. Und bei solchen Morden ist es auch sehr schwer, ein Geständnis zu erlangen, weil darüber können auch die Täter nicht sprechen.

00:10:17
Michaela Stierschneider: Ist das so?

00:10:18
Ernst Geiger: Das ist schon schwer. Man kann, wenn man Geständnisse erzielen will, dann muss man irgendwo natürlich auch dem Täter die Möglichkeit geben, seine Sicht darzulegen. Man darf nicht moralisierend auf ihn einwirken, sondern wenn man selber das nicht billigt, muss man doch ein gewisses Verständnis in die Kommunikation einfließen lassen. Und eben bei manchen schrecklichen Verbrechen wo der Täter in ganz anderen Erfahrungswelten erlebt, ist es schwer möglich. Oder ist es gar nicht möglich.

00:10:53
Michaela Stierschneider: Sie haben es schon angesprochen. Man liest auch von bekannten Kriminal Psychologen und so, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer Beziehungstat, wo das im Affekt passiert und einem Serienmörder zum Beispiel. Haben Sie da auch einen Unterschied gespürt, von Ihrem Zugang zu diesen Personen,zu den Verdächtigen?

00:11:14
Ernst Geiger: Natürlich, es gibt verschiedene Stufen. Es gibt zum Beispiel man sagt so schön: ein Mord, den jeder begeht. Es gibt die Verbrechen dass Menschen in Ausnahmesituationen ihre Emotionen nicht mehr im Griff haben und es dann zu einem Tötungsdelikt kommt. Das er sofort nachher bereut und er es nie mehr machen würde. Aber das einfach in dieser Situation passiert ist. Aber dann gibt es auch viele Täter, die planen grausame Verbrechen. Die haben einen genauen Plan, haben aber auch ein Motiv, das irgendwo nachvollziehbar ist. Zum Beispiel Raubmord oder auch manche Sexualmorde, wo es darum geht, Opfer zu vergewaltigen. Die sind geplante, da geht der Täter durchaus planend vor, aber die unbegreiflichsten Morde sind die motivlosen Morde. Wo der Täter eigentlich nur aus Lust am Töten handelt. So ein typischer Fall war eben Jack Unterweger. Der hatte nach seiner Haftentlassung alles. Er war ein bekannter Schriftsteller. Er hatte viele Frauen Beziehungen..

00:12:31
Michaela Stierschneider: Der ist in der Wiener High Society angekommen damals.

00:12:32
Ernst Geiger: Ja, er ist in der High Society angekommen. Die Zeitungen haben berichtet, er hat Theateraufführungen gemacht und er hatte viele Frauen. Er hat in der kurzen Zeit seiner Freiheit sicher intime Beziehungen zu mehr als 50 Frauen im Alter zwischen 15 und 65 gehabt, aber trotzdem hat er eben durch eine normale sexuelle Handlung keine Befriedigung gefunden. Bei ihm war eben die sexuelle Befriedigung im quälen, ihm erniedrigen und letztendlich töten. Und das hat er gemacht. Er hat einfach Zufallsopfer ausgesucht, Prostituierte denen er leicht habhaft werden konnte, hat die stundenlang gequält und dann mit eigenen Kleidungsstücken erdrosselt.

00:13:20
Michaela Stierschneider: Wenn ich so was höre, also es spricht gegen mein Wissen. Aber gibt es das Böse? Gibt es dem bösen Menschen? Gibt es einen grundsätzlich bösen Menschen?

00:13:28
Ernst Geiger: Ja, es gibt das Böse und ich meine sogar, es gibt mehr böse Täter als kranke Täter. Heute, wenn jemand unbegreifliche Taten begeht, dann schiebt man das sehr oft auf psychische Erkrankungen. Meiner Erfahrung nach ist es nicht so. Es gibt natürlich auch psychisch abnorme Täter, aber nicht jeder, der schreckliches, unbeschreibliches anrichtet, ist psychisch krank. Sehr viele dieser Täter können sehr wohl Gut und böse unterscheiden und entscheiden sich dann letztendlich für das Böse und gehen auch sehr zielgerichtet vor, um eben ihr Verlangen, ihren bösen Trieb umzusetzen.

00:14:19
Michaela Stierschneider: Haben Sie… Sie haben mit vielen Menschen gesprochen, die diese bösen Taten getan haben? Was war Ihr Empfinden in diesen Situationen? Sie haben natürlich professionell sein müssen, aber sie sind ja auch Mensch. Wie, wie, wie fühlt sich das an, wenn man weiß, was dieser Mann getan hat oder diese Person?

00:14:40
Ernst Geiger: Ich habe schon gesagt, für manche Täter kann man durchaus Verständnis finden, für Taten kann man sie nachvollziehen. Aber für diese extrem bösen Taten gibt es eigentlich für einen normalen Menschen keine Nachvollziehbarkeit, kein Verständnis für das Tun. Und da tut man sich schon schwer und die Täter sprechen auch nicht über ihre Taten. Die können selbst nicht sprechen. Das sind meist hochgradige Narzissten. Die dann, wenn sie in Haft sind, in Selbstmitleid verfallen. Die ganze Welt anklagen, sich von der Polizei, von der Gesellschaft ungerecht behandelt fühlen und eigentlich kein Mitleid für Opfer haben, aber vor Selbstmitleid zerfließen.

00:15:32
Michaela Stierschneider: Ja, Jack Unterweger hat ja auch nach seiner endgültigen Verurteilung glaube ich, gleich in der ersten Nacht Suizid begangen.

00:15:39
Ernst Geiger: Ja, hat er. Aber vorher hat er sich nie eingelassen, über seine Taten zu sprechen, sondern er hat sich eher selbst bemitleidet, weil er wieder ins Gefängnis gekommen ist und hat die Polizei und Justiz beschuldigte, dass sie ihn da einseitig verfolgt hat.

00:15:57
Michaela Stierschneider: Ihr Buch handelt von einem anderen Fall als Jack Unterweger, da geht es um die Favoritener Mädchenmorde. Wollen Sie mal kurz anreißen, was da passiert ist?

00:16:05
Ernst Geiger: Ja, das war 1988. Am Nationalfeiertag wurde eine 20 jährige Frau am Morgen aufgefunden, hinter einer Plakatwand völlig nackt, erdrosselt und in einem Baum gebunden. Wir waren da am Tatort und haben sofort gesehen: Das ist ja ein höchst ungewöhnliches Verbrechen, ganz anders als ein normaler Auffindungsort. Die Auffindungssituation war eben keine normale, wo der Täter das Opfer liegen lässt, flüchtet davonrennt, sondern der Täter hat noch nach dem eigentlichen Tötungsakt dort Zeit verbracht, um das Opfer zur Schau zu stellen und sie an den Baum zu binden. Eine Leiche rennt normalerweise nicht mehr davon. Das ist eine Tätigkeit, die ein Bedürfnis zeigt. Was man macht, hat keine modus operandi Handlung, was Sinn ergeben hätte in der Situation für ihn. Und da wussten wir, das schaut aus wie ein beginnender Serienmörder.

00:17:19
Michaela Stierschneider: Das haben Sie da schon gewusst.

00:17:20
Ernst Geiger: Das haben wir eigentlichvom Tatort schon gewusst, dass das nicht eine Einzeltat bleiben wird. Und das Ganze hat sich verstärkt. Einige Zeit später hat der Täter dann daneben einen Schuh abgelegt, den mitgenommen hat. Der hat vom Opfer Gegenstände mitgenommen. Das ist auch ein Zeichen für einen Serientäter. Die nehmen Trophäen mit. Die bewahren sie auf. Und manchmal legen sie sie irgendwo ab, um die Polizei, die Öffentlichkeit herauszufordern, sozusagen: Schau ich bin besser als ihr alle. Ich lege das dahin und ihr findet mich trotzdem nicht. Und so war es auch in diesem Fall. Und wir haben dann darauf gewartet, dass er wieder zuschlägt. Und ein paar Monate später war es soweit. Das war dann in einem großen Gemeindebau, ganz in der Nähe in einer Siedlung wurde ein neunjähriges Mädchen gefunden, am Dachboden, auch sexuell missbraucht und am Stiegengelände gelehnt, angebunden. Und wir haben damals natürlich alle Anstrengungen unternommen, das zu klären. Aber es gelang uns nicht. Es gab tausende Hinweise, wir haben tausende Leute überprüft. Es ist noch dazu auch ein Fehler passiert. Wir hatten den späteren Täter schon in den ersten Ermittlungen mit einbezogen als einen der Hauptverdächtigen. Aber es gab damals keine DNA Bestimmung, nur eine Blutgruppen Untersuchung. Und da passierte der Fehler, dass der Gerichtsmediziner die Blutgruppe abgeschabt hat und Hautpartikel des Opfers mit abgeschabt hat und die Blutgruppe A belagert die Blutgruppe 0 und so kam das falsche Ergebnis, dass der Täter Blutgruppe A haben müssen. Und wir haben den ausgeschieden und dann eben beim zweiten Mord mit dem Kind hat der Täter dazugelernt. Da gab es überhaupt keine Spur. Den hat der völlig ohne Entlassung von auswertbaren Spuren begangen. Und da war dann natürlich die Aufregung schon sehr, sehr groß. Ein Kind ist umgebracht. Da haben sich dann dort die Bewohner organisiert, haben verlangt, dass Maßnahmen ergriffen werden, bauliche Maßnahmen, dass sie auf die Kinder ganz besonders dann aufgepasst haben, sie immer begleitet, die Opfer waren immer am Heimweg. Das eine Mädchen von der Diskothek, das andere von der Schule. Und das hat für sehr viel Aufregung und auch Druck.. hat auch sehr viel Druck auf uns bewirkt, aber wir konnten es nicht klären. Und dann im Dezember kam noch ein dritter Fall hinzu. Wieder ein junges Mädchen, acht Jahre alt wurde im Laawald tot aufgefunden. Diesmal war die Auffindungssituation eine andere. Das Mädchen war mit einem Ast erschlagen worden und da sind wir schon dann davon ausgegangen, dass das ein zweiter Täter war. Letztendlich dauerte es dann 12 Jahre, bis die Morde geklärt werden konnten. Die DNA-Spur war aufgehoben worden und 94 war der Jack Unterweger Fall, der erste DNA Fall. Und der hat einen gewaltigen.. gewaltigen Sprung in der Entwicklung der Kriminalpolizei, in der Forensik ausgelöst. 1997 kam die DNA Datenbank und alle alten Spuren wurden in die DNA Datenbank eingespeist und es kam dann eben im Jahr 2000 dann Treffer. Der Verdächtige von damals hatte in einem Gasthaus eine Rauferei. Die Polizei kam hinzu. Er wehrte sich, Widerstand gegen die Staatsgewalt war ein Delikt, da konnte man in die DNA Datenbank kommen und er war ein Treffer.

00:21:59
Michaela Stierschneider: War Ihnen das schon zu Beginn klar oder war für Sie dieser Verdächtige, den Sie zu Beginn hatten, war Ihnen da..

00:22:07
Ernst Geiger: Der war schon damals 88, einer unserer Verdächtigen. Aber eben..

00:22:12
Michaela Stierschneider: Aber vom Gefühl her war für sie..

00:22:14
Ernst Geiger: …hätte er sehr gut gepasst. Aber weil eben diese Untersuchung der Blutgruppe den ausgeschieden hat, haben wir gesagt, dass ist falsch, unser Gefühl ist falsch, das kann er nicht sein. Weil der hat die falsche Blutgruppe hatte, der Täter muss ein anderer sein.

00:22:32
Michaela Stierschneider: Sie haben in einem Interview gesagt, dass das ein Fall war, an dem Sie fast gescheitert wären. Was haben Sie damit gemeint?

00:22:40
Ernst Geiger: Ja, das war mein erster großer Fall. Und normalerweise klärt man einen Mordfall in den ersten 48 Stunden auf. Wenn es länger dauert, paar Tage, paar Wochen, wird es schon schwieriger. Geht auch noch, aber da hat sich das über so viele Jahre erstreckt und es kamen viele neue Fälle hinzu. Aber der Fall war nie gelöst, nie geklärt und er war auch immer wieder medial präsent. Es kamen immer wieder neue Hinweise. Zu jedem Jahrestag gab es Berichte in den Zeitungen, im Fernsehen dazu und uns selbst hat der Fall auch sehr belastet.

00:23:19
Michaela Stierschneider: DAs glaub ich, wenn man da zwölf Jahre lang…

00:23:24
Ernst Geiger: Wir wollten das unbeding klären und wir konnten es nicht. Wir konnten den Täter einfach nicht finden. Und das hat mich sehr belastet.

00:23:29
Michaela Stierschneider: Das glaube ich.

00:23:30
Ernst Geiger: Gott sei Dank hatten wir nebenbei auch Erfolge. Weil nur mit Misserfolg kann man auch nicht ewig leben. Und das war.. wir hatten auch Angst, dass er wieder zuschlägt. Wir konnten uns nicht erklären, warum er dann aufgehört hat. Er hatte eigentlich alle Zeichen eines Serientäters.

00:23:50
Michaela Stierschneider: Wissen Sie, warum er aufgehört hat?

00:23:52
Ernst Geiger: Wir wissen es bis heute nicht ganz sicher. Aber wir nehmen an, dass sich seine Lebenssituation geändert hat. Es kommt manchmal vor. Er hatte dann eine, für ihn sehr.. eine Beziehung, wo er sich sehr wohl gefühlt hat und vorher seine Beziehungen waren immer chaotisch. Und da in der Zeit, wo er das erste Mal geheiratet hat, wo er Vater wurde, da hat er gemordet zum Beispiel. Und dann hatte er eine neue Partnerin. Und mit der hat er eine stabile Beziehung aufgebaut und über Jahre hatte dann eigentlich nichts Wesentliches mehr angestellt und hat nicht mehr gemordet.

00:24:43
Michaela Stierschneider: Bis auf die Rauferei

00:24:43
Ernst Geiger: Also bis auf die Rauferei, die war im Endeffekt eine Affekttat, die ihn dann wieder einholte. Und so wurde er wieder verdächtig.

00:24:54
Michaela Stierschneider: Und zu diesem Fall haben Sie in eben ein Buch geschrieben mit dem treffenden Titel „Heimweg“. Ist das eine Aufarbeitung? Haben Sie…

00:25:03
Ernst Geiger: Das war irgendwie eine Aufarbeitung und natürlich auch eine Darstellung der damaligen Methoden und der heutigen Methoden. Weil eben der Fall sich über so lange Jahre zieht, wo sich die Kriminalpolizei entsprechend weiterentwickelt hat und ich wollte eben auch darstellen, wieist es uns damals ergangen beim Ermitteln. Wie wirkt sich das aus auf die Kriminalbeamten? Wie ändert sich das im Zeitablauf normalerweise? Im Fernsehen ist der Fall in einer Stunde geklärt. Die meisten sind überhaupt sehr schnell geklärt und da kommt eben die lange Dauer und auch die Entwicklung der Kriminaltechnik mit dazu. Und das wollte ich da eben so darstellen.

00:25:56
Michaela Stierschneider: Würden Sie, wenn Sie sich heute für eine Ausbildung entscheiden müssten, würden Sie sich noch mal für diesen Beruf entscheiden?

00:26:03
Ernst Geiger: Ja, auf jeden Fall. Mir hat.. für mich war das der schönste Beruf.

00:26:10
Michaela Stierschneider: Wahnsinn, dass man das sagt.

00:26:10
Ernst Geiger: Das muss es auch sein, denn man kann nur erfolgreich sein, wenn man sich mit der Sache voll identifiziert. Ich war von der Ausbildung her Jurist, aber ich hätte nie wollen, irgendwo Richter von Zivilgerichte sein.

00:26:25
Michaela Stierschneider: Lieber den Mörder jagen.

00:26:27
Ernst Geiger: Lieber direkt da dabei sein und die Kriminalpolizei ist schon was sehr Spannendes und hat hohe Verantwortung. Und man kann.. man kann Erfolgserlebnisse haben, aber auch Misserfolge einfahren.

00:26:45
Michaela Stierschneider: Mit denen Sie aber sichtlich…

00:26:47
Ernst Geiger: …mit denen man auch umgehen muss. Und man kann nicht alles klären. Es bleibt immer etwas offen in einem langen Berufsleben. Aber wenn ich da so zurückblicke, bin ich eigentlich zufrieden, die richtige Berufswahl getroffen zu haben.

00:27:05
Michaela Stierschneider: Wenn Sie heute in der Zeitung von Kriminalfällen lesen, juckt sies dann? Fangen Sie dann zu Hause an, Backpapierbögen herauszuholen?

00:27:15
Ernst Geiger: Nein nein, es juckt mich nicht. Aber wie gesagt, wenn es spannende Fälle sind, ist man natürlich schon sehr interessiert und. Es gibt heute auch noch immer sehr gute Kriminalisten, die da tolle Arbeit leisten.

00:27:31
Michaela Stierschneider: Sie selbst sind Ende 2017 in Pension gegangen. Rückblickend vor allem auf Ihre berufliche Laufbahn als.. auf Ihr Leben als Ober-Kriminalist. Was ist die Lektionen Ihres Lebens?

00:27:49
Ernst Geiger: Die Lektionen des Lebens, dass das Leben immer sehr vielfältig ist und man nie ganz sicher sein kann, dass alles gut geht, dass man auf der sicheren Seite steht, das Ganze ist ja leicht ändern. Das habe ich gesehen bei vielen Schicksalen, wo man meint, die Menschen haben eigentlich einiges geleistet. Stehen ganz gut da. Und dann plötzlich kommt ein Schicksalsschlag oder eine kleine Wendung. Und alles schaut ganz anders aus. Also das menschliche Leben ist sehr verletzlich, auch das ganze Dasein. Und ich habe das auch selber erfahren. Auch ich bin am Höhepunkt eigentlich meiner Karriere damals nach der Zustandebringung der Saliera, wenige Wochen später vom Dienst suspendiert worden, war das dann auf drei Jahre..

00:28:51
Michaela Stierschneider: Aber freigesprochen worden, muss man sagen, rehabilitiert worden.

00:28:55
Ernst Geiger: Aber es hat 3 Jahre gedauert und das ist eine lange Zeit. Und da sieht man schon alles viel demütiger.

00:29:02
Michaela Stierschneider: Ganz kurz nur zur Erklärung für die Hörerinnen und Hörer. Da ging es um..

00:29:06
Ernst Geiger: Es war eine Polizeiintrige

00:29:07
Michaela Stierschneider: Die Sauna Affäre, wo sie beschuldigt wurden, eine Razzia verraten zu haben, aber freigesprochen worden sind.

00:29:17
Ernst Geiger: Und es war eben drei Jahre, wo ich mich völlig neu behaupten musste. Ich habe dann bei Wagner gearbeitet, als Sicherheitsberater und war in ganz Europa, in Russland, in China unterwegs, in einer völlig neuen Umgebung. Lauter junge Menschen, international tätige Menschen. Da zählt dann der alte Polizist nichts in diesem Dingen. Und da muss man sich neu orientieren und da habe ich eben gemerkt, wie schnell Veränderungen gehen können. Und dass man sich eigentlich auch nicht auf alten Verdiensten sich ausruhen kann, man muss sich im Leben immer neu orientieren, muss immer neugierig sein und aufgeschlossen sein.

00:30:01
Michaela Stierschneider: Ein sehr schönes Schlusswort. Unseren Hörerinnen und Hörern empfehle ich noch Ihr Buch Heimweg. Erschienen im Verlag Edition A, Ein irre spannender Kriminalroman, der auf wahren Begebenheiten beruht. Große Leseempfehlung meinerseits. Herr Geiger, vielen lieben Dank für Ihren Besuch.

00:30:23
Ernst Geiger: Es war sehr angenehm mit Ihnen.

00:30:25
Michaela Stierschneider: Das fand ich auch. Danke schön.

00:30:34
Outro: Was war deine wichtigste Lektion? Schreib uns an dldl@neverest.at

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